Neue Anforderungen an die Steuerbefreiung von innergemeinschaftlichen Lieferungen

Einleitung

Auch wenn mittlerweile schon jahrzehntelang in Kraft, das gegenwärtige EU-Mehrwertsteuersystem war von dem Beginn seiner Entstehung an lediglich als ein vorläufiges Mehrwertsteuersystem innerhalb der EU entwickelt worden. Nun hat die EUKommission einen Mehrwertsteuer-Aktionsplan beschlossen. Ziel ist die Implementierung eines einfacheren und weniger missbrauchsanfälligen Mehrwertsteuersystems innerhalb der EU. Des Weiteren soll das neue Mehrwertsteuersystem den Anforderungen der Globalisierung und der Digitalisierung genügen. Die Umsetzung des Aktionsplanes wird voraussichtlich mehrere Jahre beanspruchen. Aufgrund zunehmender grenzüberschreitender MwSt-Missbräuche (z. B. durch sog. „betrügerische Karussellgeschäfte“) wurden zunächst ab dem 1. Januar 2020 Sofortmaßnahmen, sog. „Quick Fixes“, rechtlich umgesetzt. In der Folge kommen auf Unternehmen, die grenzüberschreitende Geschäftstätigkeiten innerhalb der EU ausüben, ab 2020 Änderungen zu, welche insbesondere die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von innergemeinschaftlichen Lieferungen, Reihengeschäften und Konsignationslagern betreffen.

Der Ihnen vorliegende Aufsatz fokussiert sich auf die Gesetzesänderungen betreffend innergemeinschaftliche Lieferungen. Durch die Globalisierung von Beschaffungs- und Absatzmärkten sollte das Thema für einen großen Teil der Adressaten dieses NEWSletters Relevanz besitzen. Neben der Darstellung der rechtlichen Veränderungen werden dem Leser auch die Rechtsfolgen und damit verbundene notwendige Handlungsmaßnahmen aufgezeigt.

Umsatzsteuer-Identifikationsnummer

Umsatzsteuer-Identifikationsnummer als materiell-rechtliche Tatbestandsvoraussetzung

Innergemeinschaftliche Lieferungen, demnach Lieferungen, bei denen der Liefergegenstand grenzüberschreitend in das übrige EUGemeinschaftsgebiet befördert oder versendet wird, sind nach § 4 Nr. 1b UStG von der Umsatzsteuer befreit. Die innergemeinschaftliche Lieferung ist in § 6a UStG kodifiziert. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 6a UStG erweiterten sich mit Wirkung zum 1. Januar 2020. Demnach ist es nun notwendig, dass der Abnehmer der grenzüberschreitenden Lieferung in einem anderen EU-Mitgliedstaat für Zwecke der Umsatzsteuer erfasst ist. Das bedeutet, der Abnehmer muss im Zeitpunkt der an ihn bewirkten grenzüberschreitenden Lieferung eine ihm von einem anderen EU-Mitgliedstaat erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer besitzen und diese auch gegenüber dem liefernden Unternehmer verwenden. Der Besitz und die Verwendung einer gültigen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer eines anderen EU-Mitgliedstaates durch den Abnehmer der Lieferung wird folglich eine zusätzliche materiellrechtliche Voraussetzung für das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung.

Bislang ist die Aufzeichnung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers durch den Lieferanten keine materiell-rechtliche Tatbestandsvoraussetzung für das Vorliegen einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung, sondern lediglich ein Formerfordernis. In der Folge sieht das UStG nur Geldstrafen für den Fall der Nichtbeachtung einer Aufzeichnung vor. Zukünftig wird bei einer fehlenden Aufzeichnung oder der Aufzeichnung einer falschen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer die innergemeinschaftliche Lieferung zwingend als steuerpflichtig behandelt.

Verifizierung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer

Folgend den bisherigen Ausführungen erlangt die Verifizierung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers durch den Lieferanten enorm an Bedeutung. Für die Verifizierung empfiehlt sich die sog. „qualifizierte Bestätigungsabfrage“ gemäß § 18e UStG. Im Rahmen der qualifizierten Bestätigungsabfrage werden zusätzlich zu der zu überprüfenden Umsatzsteuer-Identifikationsnummer Name und Anschrift des Inhabers der ausländischen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer geprüft. Das Bundeszentralamt für Steuern teilt in diesem Fall detailliert mit, inwieweit die angefragten Angaben von dem EU-Mitgliedstaat, der die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erteilt hat, als zutreffend gemeldet werden.

Neben der „händischen“ und damit aufwendigen Abfrage von einzelnen Umsatzsteuer-Identifikationsnummern besteht die Möglichkeit einer automatisierten Abfrage über eine sog. „XMLRPC-Schnittstelle“. Bei der Erfassung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Buchhaltungssystem wird im diesem Fall automatisiert die ausgewählte bzw. eingegebene Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Kunden mit den existierenden Kundendaten (Name, Anschrift, Rechtsform) verknüpft. Im Rahmen eines Datenaustausches werden diese Daten mit den beim Bundeszentralamt für Steuern hinterlegten Daten abgeglichen. Die vom Bundeszentralamt automatisiert übermittelte elektronische Antwort in Form eines Datensatzes kann unmittelbar in das System des Unternehmens eingebunden und ausgewertet werden. In diesen Fällen akzeptiert die Finanzverwaltung als Nachweis der durchgeführten qualifizierten Abfrage einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer den vom Bundeszentralamt für Steuern empfangenen Datensatz (vgl. Abschn. 18e.1 Abs. 2 S. 5 UStAE).

Zusammenfassende Meldung

Entsprechend § 18a UStG ist jeder Unternehmer, der innergemeinschaftliche Lieferungen ausgeführt hat, verpflichtet, dem Bundeszentralamt für Steuern bis zum 25. Tag nach Ablauf eines Meldezeitraums eine Zusammenfassende Meldung (sog. „MIAS Eintrag“) zu übermitteln. Der Gesetzgeber qualifiziert die Abgabe bisher lediglich als eine formelle, aber keine zwingende Voraussetzung für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1b UStG. Verstöße gegen die Meldepflicht können daher bisweilen nur mit einer Geldbuße geahndet werden.

Seit dem 1. Januar 2020 wird die Gewährung einer Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 1b UStG an die treffende Abgabe der Zusammenfassenden Meldung bedingt. Durch die Gesetzesänderung wird die Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung versagt, wenn der liefernde Unternehmer seiner Pflicht zur Abgabe der Zusammenfassenden Meldung im Sinne des § 18a UStG nicht nachkommt oder soweit er diese unrichtig oder unvollständig abgegeben hat. Eine etwaige Versagung der Steuerbefreiung tritt zeitlich regelmäßig nach Bewirken des Umsatzes ein, weil die Abgabe einer Zusammenfassenden Meldung zu einer innergemeinschaftlichen Lieferung zeitlich verzögert erfolgt und somit erst zu einem späteren Zeitpunkt feststehen kann, ob die Abgabe der Zusammenfassenden Meldung ordnungsgemäß erfolgte.

Des Weiteren ist der Unternehmer, der nachträglich erkennt, dass eine von ihm abgegebene Zusammenfassende Meldung unrichtig oder unvollständig ist, verpflichtet, die ursprüngliche Meldung innerhalb eines Monats zu berichtigen. Berichtigt der Unternehmer eine ursprünglich unrichtig oder unvollständig abgegebene Zusammenfassende Meldung, wirkt diese für die Zwecke der Steuerbefreiung auf den Zeitpunkt des Umsatzes zurück. Entsprechendes gilt für die verspätete Abgabe einer richtigen und vollständigenMeldung (vgl. § 18a Abs. 10 UStG).

Belegnachweis bei innergemeinschaftlichen Lieferungen

Schon bisher hat der Unternehmer bei innergemeinschaftlichen Lieferungen durch Belege eindeutig und leicht nachprüfbar nachzuweisen, dass er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat. Kann der Unternehmer diesen Nachweis nicht, nicht vollständig oder zeitnah führen, geht die Finanzverwaltung grundsätzlich davon aus, dass die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung grundsätzlich nicht erfüllt sind (Abschn. 6a.2 Abs. 3 S. 4 UStAE).

Mit Wirkung zum 1. Januar 2020 wurde der § 17a UStDV, welcher die Regelungen zum Belegnachweis fasst, in neuer Fassung im Umsatzsteuergesetz kodifiziert. § 17a UStDV n.F. differenziert erstmals, ob der Verkäufer oder Erwerber die Gegenstände befördert oder versendet. In Abhängigkeit davon stellt der Gesetzgeber unterschiedliche Nachweisanforderungen.

Gibt der Verkäufer an, dass Gegenstände von ihm befördert oder versandt wurden, bedarf es mindestens zwei einander nicht widersprechenden Nachweisen. Als Nachweis gilt ein unterzeichneter CMR-Frachtbrief oder ein Konnossement. Einer dieser beiden Nachweise kann durch einen nicht widersprüchlichen Nachweis ersetzt werden, der die Beförderung oder den Versand bestätigt. Als mögliches Dokument ist hier die Versicherungspolice über den Transport, ein Nachweis über die Bezahlung des Transportes, eine notarielle Bestätigung über die Ankunft der Gegenstände oder eine von Lagerhaltern ausgestellte Quittung über die Einlagerung zu nennen.

Bei einem Befördern oder Versenden durch den Leistungsempfänger gilt grundsätzlich dasselbe wie im Falle des Transportes durch den liefern-den Unternehmer. Jedoch bedarf es für die Steuerbefreiung zusätzlich eines dritten Dokumentes in Form einer Gelangensbestätigung.

Die Inhalte des § 17a UStG a.F. werden seit dem 1. Januar 2020 in § 17b UStG wiedergegeben. Das bedeutet, dass die bisherigen Möglichkeiten der Nachweisführung, einschließlich der Nachweisführung durch die Gelangensbestätigung, auch weiterhin bestehen. Demnach werden die Möglichkeiten zur Nachweisführung lediglich erweitert.

Fazit

Die stetige qualifizierte Abfrage der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Lieferanten sowie der korrekte Ausweis der Lieferungen in der Zusammenfassenden Meldung müssen, angesichts einer ansonsten drohenden Steuerpflicht, noch mehr in das Bewusstsein der Unternehmen rücken. In der Folge ist eine Strukturierung der innerbetrieblichen Prozesse notwendig. Es empfiehlt sich eine IT-seitig gestützte regelmäßige Abfrage der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers.

Die Möglichkeiten der Nachweisführung von innergemeinschaftlichen Lieferungen werden ab dem 1. Januar 2020 erweitert. Neben der bisherigen Nachweisführung ergeben sich alternativ weitere Nachweismöglichkeiten im Sinne des § 17a UStG n.F. Jedoch verlangt § 17a UStG n.F., dass Belege stets von zwei voneinander unabhängigen Parteien vorgelegt werden können. In der Folge dürfte eine Nachweisführung nach § 17a UStG n.F. einen höheren Arbeitsaufwand bedingen.

Tobias Gerdemann, Diplom-Kaufmann
UHY Deutschland AG, Köln

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